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Maria Anna Zumholz
„Das Weib soll nicht gelehrt seyn“. Konfessionell geprägte Frauenbilder, Frauenbildung und weibliche Lebensentwürfe von der Reformation bis zum frühen 20. Jahrhundert. Eine Fallanalyse am regionalen Beispiel der Grafschaft Oldenburg und des Niederstifts Münster, seit 1774/1803 Herzogtum Oldenburg
Münster 2016, Aschendorff, 512 Seiten mit Abb.Rezensiert von Beate von Miquel
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 23.03.2018
Das „katholische Mädchen vom Lande“ galt in der Bildungsforschung über Jahrzehnte hinweg als der Topos für das Bildungsungleichgewicht zwischen den beiden großen christlichen Konfessionen und als Sinnbild einer nicht abgeschlossenen Emanzipation. In ihrer breit angelegten, über 400 Jahre überspannenden konfessionellen Bildungsgeschichte beschreibt Maria Anna Zumholz die Entwicklung der Mädchen- und Frauenbildung im ländlichen Raum des Oldenburger Münsterlands, das sich in einem schmalen Streifen von der Wesermarsch über Oldenburg bis in den Kreis Vechta zieht und einen überwiegend protestantischen Nordteil und einen überwiegend katholischen Südteil umfasst. Ausgehend von der bereits in den 1970er Jahren festgestellten Beobachtung, dass im katholischen Teil des Oldenburger Münsterlandes ein höherer Prozentsatz von Mädchen weiterführende Schulen besuchte, geht Maria Anna Zumholz den Ursachen für diese Besonderheit auf den Grund – dies in einem strengen konfessionellen Vergleich und mit hoher Detailkenntnis. Es zeigt sich dabei einmal mehr, dass regionale Tiefenbohrungen geeignet sind, den Blick auf Varianzen zu lenken, die in den großen Konzepten – hier der Bildungsforschung – schnell in den Hintergrund gelangen können.
Maria Anna Zumholz nimmt in ihrer Studie einerseits die Geschichte der konfessionellen Bildungskonzeptionen und Bildungsideen des Oldenburger Münsterlandes seit der Reformation in den Fokus und beschreibt andererseits die Entwicklung der praktischen Schulpolitik vor Ort. Anhand einer Vielzahl von Quellen unterschiedlichster Provenienz gelingt es ihr, die Bildungsanstrengungen etwa des Fürstbischofs Christoph Bernhard von Galen oder der „Schulmeisterin des Münsterlandes“, Amalie von Gallitzin, bzw. in Exkursen weniger bekannter Persönlichkeiten wie Wilhelmine Janssen und Elisabeth Denis nachzuzeichnen. Die dichte Beschreibung dieser und zahlreicher weiterer Protagonist/innen der Mädchen- und Frauenbildung in der Region gehört dabei unzweifelhaft zu den Stärken der Studie. Für Leser/innen, die mit der besonderen politischen und konfessionellen Struktur des Oldenburger Münsterlandes indes kaum vertraut sind, mögen die Wege der Mädchen- und Frauenbildung angesichts des strammen Schritts, mit dem Maria Anna Zumholz die 500 Jahre Bildungsgeschichte der Region abschreitet, zuweilen etwas labyrinthisch anmuten.
Die Frage, welche Möglichkeiten Mädchen und Frauen vorfanden, ihre erworbenen Kenntnisse auch umzusetzen, bilden einen weiteren Schwerpunkt der Studie. So stellt Maria Anna Zumholz konfessionelle Initiativen zur Ausbildung von Lehrerinnen im 19. Jahrhundert vor, beschreibt das Ringen um die Einführung der Frauenordination im 20. Jahrhundert sowie die Professionalisierung der Krankenpflege in katholischen Kongregationen sowie der evangelischen Diakonie. An dieser Stelle zeigt sich deutlich, dass auch innerhalb der Konfessionen keinesfalls Einigkeit darüber bestand, welcher Bildungsgrad für Mädchen und Frauen erreichbar sein und welche Gestalt weibliche Berufstätigkeit annehmen konnte und sollte. Weitgehende Einigkeit bestand jedoch in beiden Konfessionen in der Auffassung, dass Frauenerwerbstätigkeit mit dem Ideal der Ehelosigkeit oder des Zölibats verkoppelt sein sollte. Mit Folgen gerade auch für bürgerliche Frauen, da durch diese Verbindung ihre Möglichkeiten zur Entwicklung unabhängiger Lebensentwürfe begrenzt blieben und sie regelmäßig vor die Wahl gestellt wurden, entweder berufstätig oder verheiratet zu sein.
Die enge Kopplung von Berufstätigkeit und Ehelosigkeit/Zölibat wurde in den christlichen Konfessionen schließlich erst im Verlaufe des 20. Jahrhunderts aufgehoben. Mittelbar scheint sie aber ihre Wirkmächtigkeit noch nicht verloren zu haben, wie Maria Anna Zumholz im Resümee der Studie in Bezug auf aktuelle Debatten rund um geschlechtsspezifische Barrieren für Frauen im Berufsleben nahelegt. So erleben traditionale Vorstellungen von der schwierigen Vereinbarkeit weiblicher Berufstätigkeit und Mutterschaft derzeit in den Medien fröhliche Urständ. Umso wichtiger erscheint es, sich mit Unterstützung Maria Anna Zumholz‘ der emanzipatorischen Ansätze für Mädchen- und Frauenbildung sowie der Frauenerwerbstätigkeit auch in den vermeintlich konservativen christlichen Konfessionen zu versichern und zu erkennen, dass die selbstbestimmte und individuelle Lebensgestaltung von Mädchen und Frauen immer wieder zur Disposition gestellt werden kann.