Aktuelle Rezensionen
Daniel Bauer
Die nationalsozialistische Herrschaft in Stadt und Land. Rothenburg ob der Tauber 1933–1945. Eine regionalgeschichtliche Untersuchung
(Bibliotheca Academica, Reihe Geschichte 7), Würzburg 2017, Ergon, 432 Seiten, 14 AbbildungenRezensiert von Paul Hoser
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 05.07.2018
Die Reichsstadt Rothenburg galt mit ihren alten Bauten lange Zeit geradezu als Idealbild der mittelalterlichen deutschen Stadt. Hinter dem malerischen Aspekt verbarg sich aber auch Düsteres aus der Vergangenheit, nicht zuletzt die Hexen- und Judenverfolgungen. Eine neue, finstere Epoche sollte 1933 beginnen, als die Nationalsozialisten an die Macht gelangten.
Der wissenschaftlichen Untersuchung diese Zeit widmet sich die Dissertation Daniel Bauers. Rothenburg war eine stark von Landwirtschaft und Kleinbetrieben geprägte Stadt, die vor sich hinsiechte, bis ihr der wegen ihres romantischen Images einsetzende Fremdenverkehr zu einem gewissen Aufschwung verhalf. Politisch dominierten die konservativ und national orientierten Gruppierungen. Schon im Februar 1921 sprach erstmals ein Redner der Nationalsozialisten im Ort. Seit 1927 bauten sie ein flächendeckendes Netz von Ortsgruppen auf, das Stadt und Bezirk erfasste. In den Reichstagswahlen vom September 1930 erwies sich die NSDAP in beiden als stärkste Partei. Den Grund für ihren Erfolg sieht Bauer in der Bedrohung der mittelständischen Schicht durch die Wirtschaftskrise und in deren traditionell protestantisch-national geprägter Orientierung, die durch die Pfarrer laufend bestätigt wurde.
Der amtierende Oberbürgermeister Liebermann, zu dessen Person Bauer Informationen schuldig bleibt, passte sich schnell an, trat der Partei bei und konnte sich bis Ende 1936 halten. Danach wurde er durch Friedrich Schmidt ersetzt, einen Mann von Gnaden des Gauleiters Julius Streicher. Auch die meisten Beamten und Angestellten der Stadt wurden bald Parteimitglieder. Streicher bestimmte überdies bis zu seiner Entmachtung im Jahr 1940 die personelle Zusammensetzung des Apparats der Kreisleitung. Dieser wird von Bauer detailliert rekonstruiert. Karl Steinacker, der im August 1935 im Alter von 27 Jahren die Führung der Kreisleitung übernahm, war eine ergebene Kreatur Streichers. Er hatte entscheidenden Einfluss auf die Politik der Stadt und der Kreisgemeinden. Ganz im Sinne Streichers intensivierte er laufend die Hetze gegen die Juden. 1944 holte man ihn in die Parteikanzlei. Sein Nachfolger, der erst 21jährige NS-Studentenführer im Gau Franken, Georg Höllfritsch, stand ihm an Fanatismus in nichts nach.
Außer der Parteiverwaltung behandelt Bauer auch Nebenorganisationen der Partei wie die SA, die HJ und ausführlich die NS-Volkswohlfahrt und den NS-Lehrerbund. 60 % der Lehrer im Kreis gehörten der Partei an. Die Lehrerschaft trug die antisemitische Agitation in die Schulen.
Rothenburgs historischer Symbolwert wurde nicht nur zur Propaganda für den Fremdenverkehr ausgeschlachtet, sondern auch mit den für die nationalsozialistische Ideologie zentralen Vorstellungen von gesundem Bauerntum und Volksgemeinschaft verknüpft. Vor allem wegen des Propagandawerts wurden auch Anstrengungen zur Erhaltung und Restaurierung der historischen Baulichkeiten gemacht.
Natürlich blieben in einer so nationalsozialistisch durchdrungenen Stadt Denunziationen gegnerischer Äußerungen nicht aus. Ebenso tobte sich der Hass auf Juden in Boykott, Gewaltaktionen und Arisierungen hemmungslos aus. Treibende Kraft war der Kreispropagandaleiter Georg Höfler.
Die große Mehrheit der Bewohner Rothenburgs bestand aus Protestanten. Die evangelische Kirche spaltete sich in die vor Ort besonders aggressiven und NS-freundlichen Deutschen Christen und in eine Gemeinschaft der Bekennenden Kirche.
Parallel zu der sich zunehmend verschlechternden Kriegslage entwickelte sich die Stimmung der Bevölkerung. Kreisleiter Höllfritsch sabotierte die Möglichkeit, aus Rothenburg eine Lazarettstadt zu machen. So richtete ein massiver Bombenangriff im März 1945 verheerende Schäden an. Während in anderen Orten meist die Standortkommandanten Widerstand bis zum letzten leisten wollten, war es in Rothenburg der Kreisleiter, der die Jugendlichen für den Volkssturm mobilisierte. Auf sein Betreiben hin wurde noch ein Verfahren gegen einen Volkssturmmann eröffnet und dieser danach hingerichtet.
Bauer gibt auch eine kurze Darstellung der Entwicklungen in der Besatzungszeit und wirft einen Blick auf Kontinuitäten. 1952 konnte z. B. der NS-Bürgermeister Schmitt Stadtratsmitglied werden, 1955 benannte man gar die Hauptstraße erneut nach Ludwig Siebert.
Bauer hat intensive Quellenarbeit geleistet und eine solide Arbeit vorgelegt. Die Forschungsliteratur zu Bayern ist ihm im Allgemeinen bekannt, auch wenn einige wichtige Arbeiten fehlen, wie etwa die von Katja Klee über die Evakuierungen und der als Nachschlagewerk sehr brauchbare Katalog „Bauen im Nationalsozialismus“ von 1993. Bei der Statistik wäre es sinnvoll gewesen, nicht nur die von 1925 und 1939, sondern auch die von 1933 und 1949/50 heranzuziehen. Die Statistik zu Bayern für 1933 findet sich nicht in den Beiträgen zur Statistik Bayerns, sondern in der Reihe der Statistik des Deutschen Reiches, was vielen Historikern unbekannt ist. Die Parteistatistik der NSDAP, die der Autor unter die ungedruckten Quellen einreiht, ist tatsächlich eine gedruckte, von der sich allerdings nur wenige Exemplare erhalten haben, darunter im Institut für Zeitgeschichte, aber auch im Bundesarchiv Berlin und in der Bibliothek der Humboldt-Universität. Vermutlich hat Bauer sie für die Diagramme der Anhänge 3–5 ausgewertet, zu denen er keinen Beleg angibt. Das von ihm erwähnte „Geheime Staatsarchiv“ in München besteht schon seit langer Zeit nicht mehr; die Bestände sind der Abteilung II des Bayerischen Hauptstaatsarchivs zugeordnet. Die dort vorhandenen Regierungspräsidentenberichte hat der Verfasser offenbar nicht eingesehen.
Warum er das ihm bekannte über Internet zugängliche Gedenkbuch des Bundesarchivs zur Ermordung der deutschen Juden nicht systematisch genutzt hat, ist unklar.
Bei der Darstellung der Entwicklung bis zum Beginn der NS-Herrschaft hätte man sich genauere Angaben über die Ergebnisse der diversen Wahlen von 1930, 1932 und 1933 gewünscht. Auch eine Gesamtaufstellung der protestantischen Pfarreien und ihrer Geistlichen in der Stadt Rothenburg wäre hilfreich gewesen.
Ein grundlegender Mangel ist die weitgehende Ausblendung der Kommunalpolitik der Stadt. Auch bleibt die Darstellung merkwürdig farblos und spröde. Nur bei dem Kapitel über die Deutschen Christen wird sie durch drastische Zitate belebt. Sehr viele der geschilderten Entwicklungen spielten sich in den meisten Städten ähnlich ab; das Spezifische Rothenburgs tritt zu wenig hervor. Es hätte sich besser herausarbeiten lassen: zum einen durch statistische Vergleiche mit anderen Orten, zum anderen durch einen Vergleich mit mindestens einer anderen Stadt. Es gibt inzwischen schon einige brauchbare Arbeiten über bayerische Städte in der NS-Zeit; anders sieht es allerdings mit Landkreisen aus.
Insgesamt ist Bauers Arbeit ein wertvoller Baustein. Dem Autor ist zu wünschen, dass er von den dummen Attacken verschont bleibt, mit denen vielfach unbelehrbare Ortsansässige und auch opportunistische Lokalpolitiker aller Couleur immer noch auf solche exakten Rekonstruktionen der nationalsozialistischen Vergangenheit reagieren.