Aktuelle Rezensionen
Britta Bauer
Baumbestattungen in Deutschland. Sozialwissenschaftliche Untersuchung einer alternativen Bestattungsform
(Socialia. Studienreihe Soziologische Forschungsergebnisse 141), Hamburg 2015, Verlag Dr. Kovač, 327 Seiten mit 59 Abbildungen u. 63 TabellenRezensiert von Barbara Happe
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 03.05.2018
Die zu besprechende Studie ist eine Dissertation, die am Lehrstuhl für Forst- und Umweltpolitik der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg im Breisgau entstand. Das Erkenntnisinteresse von Britta Bauer „gilt der Analyse von Einstellungen und Überzeugungen, aufgrund derer sich Menschen für eine Baumbestattung entscheiden“ (3). Sie betreibt also, wie sie selber schreibt, „Motivationsforschung“ (4).
Die Studie beginnt mit einem kurzen Blick auf die Tradition und Praxis von Baumbestattungen in England, den USA, Belgien und den Niederlanden, Korea und der Schweiz. Anschließend wird die Praxis der Baumbestattungen in Deutschland kurz skizziert sowie die Position der katholischen und evangelischen Kirche umrissen. Daran schließt sich ein mehr als schlaglichtartiger Überblick über den Wandel der Sepulkralkultur in Deutschland an, in dem Bekanntes referiert bzw. angetippt wird. Die Autorin beklagt hier, dass die Deutschen einen natürlichen (?) Umgang mit Tod und Sterben verlernt hätten, und behauptet unter anderem, dass das dauerhafte Steingrab durch allzeit erreichbare Internet-Friedhöfe ersetzt werde. Solche gewagten Bekundungen bedürfen insbesondere in einer Dissertation einer empirischen Untermauerung, die Bauer aber dem Leser schuldig bleibt. Weiterhin geht es um das positive Verhältnis der Deutschen zum Wald, der als Refugium und Rückzugsort von der Zivilisation diene. In dieser durchweg positiven Konnotation des Waldes sieht Bauer in Anlehnung an die Arbeit von Sylvie Assig (Waldesruh statt Gottesacker. Der Friedwald als neues Bestattungskonzept. Eine kulturwissenschaftliche Spurensuche. Stuttgart 2007) die entscheidenden Einflussfaktoren für die Wahl einer Baumbestattung. Es werden die bekannten Wünsche und Hoffnungen, die sich mit einer Baumbestattung verbinden, referiert: Hierzu zählen etwa die Ablehnung des als zu reglementiert empfundenen, traditionellen Friedhofes, der Wunsch nach Vorsorge, die Symbolkraft der Bäume, der Wegfall der Grabpflege, die Möglichkeit einer ortsunabhängigen Bestattung und nicht zuletzt ökologische Überzeugungen, die aber eher nachrangig sind.
Aus dieser Literaturdurchsicht werden dann fünf Arbeitsthesen entwickelt, die für die Einstellungsforschung als Grundlage dienen. Für die sich anschließende, qualitative Studie wurden zwei Gruppen mit unterschiedlichen Leitfäden interviewt und zwar eine Expertengruppe von Verantwortungsträgern und eine Expertengruppe von Kunden. Die Analyse der Einstellungsforschungen und des geplanten Verhaltens erfolgt auf der Basis der Theorie des geplanten Handelns (TPB) nach Icek Ajzen.
Die zehn befragten Verantwortungsträger waren Pfarrer, der Geschäftsführer des Museums für Sepulkralkultur in Kassel, Betreuungsförster von Friedwäldern, Theologen und Bestatter oder Betreiber eines Bestattungswaldes. In der Expertengruppe „Kunden“ wurden fünf Frauen und sieben Männer befragt, die sich für eine Baumbestattung interessieren oder bereits entschieden haben oder aber deren Angehörige. Die meisten Teilnehmer dieser Interviews gehörten der Mittel-/Oberschicht an und waren um die 60 Jahre alt. Für diese Experteninterviews wurde die Methode der qualitativen Inhaltsanalyse gewählt. Die 22 geführten Interviews brachten folgende Ergebnisse: Die Naturverbundenheit und damit korrelierend eine Abneigung gegenüber den als zu „steril“ und „künstlich“ empfundenen Friedhöfen (103) sind eine der Hauptgründe für die Wahl eines Friedwaldes als Begräbnisstätte. Des Weiteren wurde die Baumbestattung als eine Alternative zum anonymen Grab auf einem Friedhof angesehen. Zudem erachten die „Respondenten“ (ein im deutschen Sprachgebrauch nicht üblicher Begriff) den Baum als einen Ersatz für einen Grabstein, der die Symbolik von Werden und Vergehen auf eine besondere Art widerspiegele (102). Ein Bestattungswald gewähre den Menschen mehr Freiheit und Selbstbestimmung als ein traditioneller Friedhof und er ströme Ruhe und Geborgenheit aus. Ein weiterer Aspekt ist der Vorsorgegedanke und die damit einhergehende Entpflichtung der Hinterbliebenen von der Grabpflege. Und schließlich bieten Baumbestattungen mehr „spirituelle Offenheit“ als die christlichen Religionen. Mit diesem Ergebnis werden die Studien von Sylvie Assig, Stefanie Rüter oder der Rezensentin zur Problematik von Baumbestattungen bestätigt.
In der quantitativen Studie sollten die Parameter, welche die Wahl einer Baumbestattung beeinflussen, ermittelt werden (144). Die aus der qualitativen Studie gewonnenen Hypothesen sollten durch die quantitative Studie geprüft werden. Befragt wurden 1000 Personen in Endingen im Kaiserstuhl mittels eines Fragebogens. Die Rücklaufquote belief sich auf 337 Fragebögen (= 34 %). Auch hier werden als stärkste Argumente für eine Baumbestattung die Naturverbundenheit sowie die Entlastung der Angehörigen bezüglich der Grabpflege genannt (176). Kritisch werden von den Befragten die schlechte Erreichbarkeit der Bestattungswälder sowie ein potentieller Traditionsverlust beurteilt. Damit werden erneut bisherige Forschungsergebnisse bestätigt.
Bauer ist es immer wieder wichtig zu betonen, dass die bisherige Forschung zu Baumbestattungen keine qualitativen und quantitativen Erhebungen vorgenommen hat. In ihrer abschließenden Diskussion der Ergebnisse werden erneut die verschiedenen Einflussfaktoren für eine Bestattung im Wald erörtert und mit dem Literaturstudium abgeglichen. Auch hier bestätigt sich wiederum die positive Konnotation des Waldes im Unterschied zum „bedrückenden“, reglementierenden Friedhof, der Vorsorgeaspekt und die Entlastung der Angehörigen. Entgegen der Erwartung, dass der Lebensstil einen Einfluss auf die Wahl der Bestattung hat, kristallisierte sich heraus, dass Menschen mit einem traditionellen Lebensstil (?) sich häufiger für eine Baumbestattung entscheiden als Menschen, denen ein moderner Lebensstil nachgesagt wird. Überraschend ist auch nicht, dass sich mehr Menschen mit evangelischer als mit katholischer Konfession für eine Baumbestattung entscheiden.
Dem Erstaunen der Autorin, dass sich das Thema Bestattungswälder sehr schnell in unserer Gesellschaft etabliert habe, kann sich die Rezensentin nicht anschließen, da diese Thematik ja schließlich nicht vom Himmel gefallen ist, sondern sich etwa durch die Waldfriedhöfe zu Beginn des 20. Jahrhundert bereits lange in der Gesellschaft angekündigt hat. Die Studie vermag letztlich nicht den Erkenntnisgewinn durch die Analyse von Einstellungen und Überzeugungen mittels unterschiedlicher Befragungen zu beziffern und leider strapaziert sie den Leser durch eine Redundanz in der Darstellung und Diskussion der Thematik.