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Ulrike Schillinger
Die Neuordnung des Prozesses am Hofgericht Rottweil 1572. Entstehungsgeschichte und Inhalt der Neuen Hofgerichtsordnung
(Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 67), Köln u.a. 2016, Böhlau , 271 SeitenRezensiert von Wolfgang Wüst
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 20.04.2018
Es ist in der Forschung unstrittig, dass das kaiserliche Hofgericht zu Rottweil – erstmals am 19. Januar 1299 genannt – im Mittelalter zu den wichtigsten Gerichten für den deutschen Südwesten zählte, zumal diese (politische) Landschaft als eine ausgesprochen königsnahe Region zu gelten hat. Dass nun Ulrike Schillinger in ihrer im Sommersemester 2014 von der Juristischen Fakultät der Universität Bayreuth angenommenen Dissertation (Betreuer: Prof. Dr. Bernd Kannowski) den zeitlichen Bogen bis in die frühe Neuzeit spannt, liegt an der bisher offenbar viel zu wenig beachteten Neuen Rottweiler Hofgerichtsordnung von 1572. Deshalb geht diese Neuerscheinung zeitlich über die Arbeit Georg Grubes zur Verfassung des Rottweiler Hofgerichts von 1962 hinaus (Georg Grube, Die Verfassung des Rottweiler Hofgerichts, Stuttgart 1969). Die Autorin leitet ihr Erkenntnisinteresse und ihre Leitfragen aus der Ordnung von 1572 ab. Inwieweit wurde diese Ordnung von älteren Modellen, insbesondere der unmittelbar vorausgehenden Reichskammergerichtsordnung von 1555 beeinflusst? Oder wurde gar auf die Alte Hofgerichtsordnung (AHGO) aus den 1430er Jahren (1435?) zurückgegriffen? Wie steht es um die inhaltliche, straf- und zivilrechtliche sowie rechtssprachliche Eigenständigkeit dieser letzten großen Reformordnung des untersuchten königlich-kaiserlichen Provinzialgerichts? Zudem fragt man sich, warum die Autorin nicht auch die Brücke zu den Reichspolicey-Ordnungen von 1530, 1548 (und 1577) geschlagen hat; die Grenzen zum „guten“ Policey- und Gerichtsrecht waren im 16. Jahrhundert ohnehin noch fließend.
Die Ergebnisse dieser mit einem Sachregister (warum kein Orts- und Personenregister?) erschlossenen, durch umfangreiche rechtshistorische Literaturrecherche (S. 248-264) fundierten, sich aber mit einer relativ schmalen Basis an ungedruckten handschriftlichen Quellen (S. 245) zufriedengebenden Arbeit überzeugen trotzdem. Der Visitationsdruck des Reformationsjahrhunderts erreichte auch die Gerichte. In der Reichsstadt Rottweil wollte man diesem, modern gesprochen, Evaluationsdruck nicht tatenlos gegenüberstehen. Am Hofgericht entstand deshalb ein umfangreicher „Ordnungsentwurf“ (S. 241), der die Grundlage der Neuen Hofgerichtsordnung (NHGO) bildete und der die Kritik der Reichsstände an der kaiserlichen Gerichtsbarkeit relativierte. Die Gerichtsvisitatoren blieben dabei den Interessen des Reichsoberhaupts und des Schwäbischen Reichskreises – zwei Gesandte vertraten stets den Kreiskonvent – gleichermaßen verbunden. Die NHGO von 1572 fand in Folge als Modell einer gelungenen Gerichtsreform eine breite Rezeption, zumal bei den Grafen von Sulz im Hofrichteramt die universitäre Professionalisierung der Juristen angemahnt wurde, sich die schriftliche Fixierung auf neue Rechtsfelder (Abforderungsverfahren, Ehehaft-Tatbestände) ausdehnte und das Exekutionsverfahren wohltuend von der älteren, noch stark dinggenossenschaftlich geprägten Praxis der AHGO abhob. Dennoch blieb der regionale Charakter des Gerichts erhalten, beispielsweise durch das Auswahlrecht der Stadt Rottweil unter den Gerichtsbeisitzern. Dies trug sowohl zur Kostenminderung als auch zur Verfahrensbeschleunigung bei. Das waren zweifellos formelle Vorteile gegenüber den Reichskammergerichtsverfahren.
Eher unbedarft ging die Autorin mit der gerade in der territorialen „Vielherrigkeit“ Schwabens modellhaft entwickelten neuen Sicht auf das Alte Reich um. Das Rottweiler Hofgericht war natürlich ein wichtiger Baustein, um herrschaftliche Koordinaten nicht neu, aber zumindest anders auszulegen. Es waren die Kaiser selbst, ihre Räte, Hofgerichte, Delegierten und Kommissionen, die immer wieder gestaltend in die regionale Geschichte eingriffen. Für das Reichskammergericht und den Reichshofrat sind diese Phänomene besser untersucht als für die kaiserlichen Hofgerichte. Mediävisten haben dies klar erkannt, doch schien der unmittelbare Aktionsradius des Reichsoberhaupts nach der Institutionalisierung der Gerichte und Ämter sowie der fortgeschrittenen Territorialisierung im Reich zumindest geschmälert oder gar ganz obsolet geworden zu sein. Es liegt noch nicht lange zurück, dass hier von Seiten namhafter Frühneuzeithistoriker – ihre Titel vermisst man im Literaturverzeichnis schmerzlich – eine Neujustierung vorgenommen wurde. Diese kommt auch für das Thema Hofgericht Rottweil zum Tragen, zumal Ulrike Schillinger die Untersuchungszeit bis weit ins 16. Jahrhundert verlängert hat.