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Cornelia Eisler
Verwaltete Erinnerung – symbolische Politik. Die Heimatsammlungen der deutschen Flüchtlinge, Vertriebenen und Aussiedler
(Schriften des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa 57), München 2015, De Gruyter Oldenbourg, 664 Seiten mit 12 AbbildungenRezensiert von Wolfgang Stäbler
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 16.04.2018
Die Heimatsammlungen der Geflüchteten, Vertriebenen und Aussiedler (im Folgenden kurz Heimatsammlungen) sind Orte des Erinnerns. Sie hatten zunächst vor allem soziale Funktion als Treffpunkt und Identifikationsort, auch als Ort der geteilten Trauer. Später wandelten sie sich oft zum Zentrum der Selbstvergewisserung und Identitätsstiftung, sind damit aber auch stets Ausdruck einer Abgrenzung der jeweiligen Gruppen innerhalb der Aufnahmegesellschaft. Gleichzeitig wollen sie für die Belange derer, die ihre Heimat verloren haben, werben und informieren: die nicht unmittelbar Betroffenen, Nachgeborene und die Einwohner der „Neuen Heimat“, die längst das „neu“ verloren hat. Nicht zuletzt waren sie lange Zeit auch ein stark politischer Ort, an dem erlittenes Unrecht und zugleich Ansprüche dokumentiert wurden. Oft übernahmen die „Patenstädte“ oder „-gemeinden“ der jeweiligen Region die Trägerschaft bzw. stellten Räume im örtlichen Stadt- oder Heimatmuseum zur Verfügung. Hier bewegen sich die Heimatstuben im Spannungsfeld zwischen Objekten lokaler Eingliederungspolitik und Elementen der betonten Desintegration.
Im Rahmen der „Dokumentation der Heimatsammlungen“, 2008 bis 2012 in Zusammenarbeit mit dem Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa (BKGE) vom Seminar für Europäische Ethnologie/Volkskunde der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel durchgeführt, entstand die vorliegende, 2014 als Dissertation angenommene Arbeit. Das Gesamtprojekt zielte darauf, „die Bedeutung der Heimatsammlungen und der in ihnen enthaltenen Kulturgüter“ zu betrachten und zu dokumentieren [1].typo3/ In Bayern übernahm dabei die Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen den Auftrag des Sozialministeriums, die Heimatsammlungen zu erfassen. Die Ergebnisse sind in einer Publikation zusammengefasst [2],typo3/ die erhobenen Daten in eine Datenbank des BKGE eingeflossen [3].typo3/
Cornelia Eisler stellt deutschlandweit rund 590 museumsartige Heimatsammlungen fest. Viele davon sind inzwischen bereits wieder geschlossen oder ihnen steht dieses Schicksal in absehbarer Zeit bevor, bricht doch mit dem Abtreten der Erlebnisgeneration die wesentliche personelle Basis dieser Einrichtungen weg. Nicht zuletzt war diese Entwicklung auch Auslöser für die „Inventur“ durch die genannte Dokumentation. Zunächst erläutert die Autorin den historischen Kontext und die Rahmenbedingungen, geschaffen vor allem durch den „Kulturparagraphen“ 96 des Bundesvertriebenenförderungsgesetzes, und widmet sich dem Forschungsstand. Dabei zeigt sich, dass zwar, um mit Gottfried Korff zu sprechen, die Museen die am besten erforschten Kultur- und Bildungseinrichtungen der westlichen Welt sind, die Heimatsammlungen der Vertriebenen als spezielle Untergruppe des Genres Heimatmuseum dagegen bislang nur unzureichende Beachtung erfahren haben. Daraus entwickeln sich Eislers Fragestellungen nach Entstehungszusammenhängen und Funktionszuschreibungen der Heimatsammlungen, aber auch nach den Mentalitäten, die sie prägen und der Vorstellung von „Heimat“, die sie repräsentieren. Zudem werden die politisch-administrativen Strukturen, die hinter Gründung und Betrieb stehen bzw. sie unterstützten, in den Fokus genommen.
Nach einem Überblick über die Geschichte der deutschen Heimatmuseen und dabei auch ihre versuchte Instrumentalisierung im damaligen Osten Deutschlands in der NS-Zeit („Grenzlandmuseen“) widmet sich Eisler detailliert der Gründungsgeschichte und den Initiatoren und Trägern der Heimatsammlungen ab 1945. Die ermittelten Gründungszeiten ergeben ab den frühen 1950er Jahren eine relativ konstante, in den 1970/80er Jahren vor dem Hintergrund des allgemeinen Museumsbooms ansteigende, danach deutlich abflachende Kurve (Schaubild S. 96). Bei der Untersuchung der Gründungen werden schnell Intention und hauptsächliche Sammlungsziele klar: Zum Rettungsgedanken, „Devotionalien“ aus der alten Heimat zu sichern, gesellt sich die Betonung ihres Zeugniswerts als Beweis für die frühere, gewaltsam beendete deutsche Besiedlung der jeweiligen Region – es entsteht quasi eine Legitimationssammlung. Da es in der Regel nicht möglich war, historisch oder kunstgeschichtlich besonders wertvolle oder auch großdimensionierte Objekte im Zuge von Flucht oder Vertreibung mitzunehmen oder später über die Grenze zu bringen, ergeben sich meist recht gleichförmige Sammlungen von Büchern, Karten, Schriftstücken und Hausrat wie etwa Porzellan, die durch Trachten – oft nachgeschneidert – oder Modelle bedeutender Bauwerke und Wappen ergänzt und in eigenwilliger, mehr laienhaft dekorierender als informierender Ästhetik präsentiert werden. Insgesamt rückt dabei die Pluralität der Erinnerung in den Hintergrund und es wird ein im Rückblick emotional-verklärtes, einheitliches Bild gezeichnet.
Für den Sammlungsaufbau sind die Untersuchungen Eislers zu Provenienz und Akquise von Interesse. Dabei widerlegt sie die nicht haltbare These vom reinen „Fluchtgepäck“, zeigt die Zufälligkeit der erhaltenen Objekte auf und verweist darauf, dass ganze religiöse, politische oder ethnische Bevölkerungsgruppen nur in den seltensten Fällen repräsentiert sind: So finden sich in den Heimatsammlungen kaum Gegenstände aus dem jüdischen Bereich, selbst wenn es in Herkunftsgebieten wesentliche jüdische Bevölkerungsteile gegeben hatte – sie waren bereits vor der Zwangsmigration deportiert oder ermordet worden. Entscheidend war neben vielen anderen Faktoren auch die Fluchtdistanz: In grenznahen Bereichen, etwa dem Egerland, war oftmals auch der Transport von Dingen, die nicht unmittelbar lebensnotwendig erschienen, möglich. Als ab den 1960er Jahren Verwandtenbesuche und Reisen in die CSSR und nach Polen wieder erlaubt waren, nahmen die Heimatsammlungen einen neuen Aufschwung. Nun fanden geschmuggelte Kunstgegenstände, aber auch sentimentale Andenken der „Heimwehreisen“, von „Heimaterde“ mit ihrer speziellen Symbolik bis hin zu Grabsteinen, den Weg in den Westen. Oft gewährten die Patenstädte Ankaufsetats zur Erweiterung der Sammlungen. Zu ergänzen ist hier, dass mit der wachsenden Kontaktpflege mit den neuen Bewohnern der ehemals von Deutschen besiedelten Gebiete viele geschenkte oder im Austausch überlassene kunstgewerbliche Objekte oder Fotos und andere Andenken an grenzüberschreitende Treffen in die Ausstellungen gelangten.
Eisler befasst sich außerdem mit den kulturpolitischen Hintergründen der Heimatsammlungen und ihrer auch bundesländerspezifischen Ausprägung. Sie legt in diesem Zusammenhang dar, wie die vermeintliche grass roots-Bewegung der Sammlungen im Kontext der bundesrepublikanischen politischen Strukturen und Zielsetzungen zu sehen ist. In der DDR waren vergleichbare Sammlungen kein Thema – sie fanden hier erst nach der Wiedervereinigung als Import der westdeutschen Erinnerungspolitik Eingang in die Museumslandschaft. Ziel der genannten westdeutschen Kulturpolitik war auch eine Professionalisierung der aus museumsfachlicher Sicht oft fragwürdigen Einrichtungen. Sie fand statt durch die Förderung von Arbeitskreisen und Beratungsmaßnahmen, nicht zuletzt aber durch die Einrichtung landsmannschaftlicher Zentralmuseen wie des Donauschwäbischen Zentralmuseums in Ulm oder nach der Wende des Pommerschen Landesmuseums in Greifswald und des Schlesischen Museums in Görlitz. Natürlich waren stets auch die jeweiligen Akteure von ausschlaggebender Bedeutung, und so stellt die Autorin im Anhang ausgewählte Kurzbiographien von Personen aus Kulturpolitik, Wissenschaft und den Vertriebenenverbänden zusammen, die für die Entwicklung der Heimatsammlungen von Bedeutung waren.
Auch wenn es zu vermuten wäre: Das Kapitel Heimatsammlungen und Vertriebenenmuseen ist auch sieben Jahrzehnte nach Flucht und Vertreibung noch nicht abgeschlossen. Vor kurzem wurde im Straubinger Herzogsschloss ein „Schlesisches Schaufenster“ eingerichtet, das Sudetendeutsche Museum in München als zentrale Einrichtung für den „Vierten Bayerischen Stamm“ wird in wenigen Monaten eröffnet werden. Es wird der Thematik neue Impulse vermitteln, gleichzeitig Sammelbecken für Heimatsammlungen sein, welche die Zeit nicht überdauern können.
[1] Projektbeschreibung auf www.bkge.de/Heimatsammlungen/ [17.12.2017].
[2] Michael Henker (Hg.): Die Heimatsammlungen der Sudeten– und Ostdeutschen in Bayern. München 2009.typo3/
typo3/[3] www.bkge.de/Heimatsammlungen/Verzeichnis/ [17.12.2017].