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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Matthias Emil Ilg

Constantia et Fortitudo. Der Kult des kapuzinischen Blutzeugen Fidelis von Sigmaringen zwischen „Pietas Austriaca“ und „Ecclesia Triumphans“. Die Verehrungsgeschichte des Protomärtyrers der Gegenreformation, des Kapuzinerordens und der „Congregatio de propaganda fide“ 1622–1729

2 Bde., Münster 2016, Aschendorff, 1485 Seiten, zahlr. Abbildungen
Rezensiert von Johann Kirchinger
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 12.04.2018

Die Heiligengestalten der katholischen Kirche und ihre Kultgeschichte gehören sicherlich nicht zu den bevorzugten Objekten, mit denen die Geschichtswissenschaft Zugang zur Frühen Neuzeit sucht. Gerade das versucht nun aber Matthias Ilg in seiner Tübinger geschichtswissenschaftlichen Dissertation aus dem Jahr 2010 am Beispiel des kapuzinischen Protomärtyrers Fidelis von Sigmaringen, der 1622 von reformierten Bauern in Graubünden erschlagen wurde.

Dabei beabsichtig Ilg schon wegen des Mangels an geeigneten Quellen keine Biographie, sondern die Kultgeschichte bis zur Seligsprechung 1729. Ilgs Ausgangsfrage lautet: „Wie wird man ein Heiliger der Gegenreformation?“ (S. 22). Zwar zeigt die Kanonisationsstatistik, dass Fidelis eine Ausnahme war. Denn die meisten Heiligsprechungen der Frühen Neuzeit betrafen Männer aus romanischen Ländern, die immerhin vor allem aus der franziskanischen Ordensfamilie stammten, aber kaum Märtyrer waren. Trotzdem ist die Ausgangsfrage berechtigt, wenn man – wie Ilg – konsequent Befürworter und Gegner des Fideliskultes im Rahmen einer Netzwerkanalyse nach sozialwissenschaftlichem Verständnis gemäß der Analysekategorien Verwandtschaft, Freundschaft, Landsmannschaft und Patronage behandelt. Dies zeigt bereits die Dominanz der sozialhistorischen Dimension in der Analyse, die Ilg allerdings geglückt vor allem mit kultur- und politikgeschichtlichen Fragen verknüpft. Auf diese Art und Weise beschreibt er den Fideliskult nach der Auswertung von Kanonisationsakten, Mirakelverzeichnissen, Bildzeugnissen und Hagiographien als „religiöses Projekt (S. 41), das zur konfessionellen Identitätsbildung beitrug, indem die verschiedenen Netzwerkteilnehmer an der Person des Fidelis „ihre Perzeptions-, Deutungs-, Verhaltens- und Erfahrungsmuster bestätigen, ausrichten, schärfen und entwickeln“ konnten (S. 45).

Grundlage und erster Teil der Analyse stellt die Biographie des Märtyrers dar, die bereits auf die spätere Kultgeschichte hin untersucht wird. Bemerkenswert ist dabei, dass Fidelis bereits zu Lebzeiten auf die Perzeption als Martyrer hingearbeitet habe, wie Ilg überzeugend darlegt. Anschließend daran wird die erste Kultphase zwischen dem Martyriumsjahr 1622 und 1672, dem fünfzigsten Todesjahr, in dem nach den Vorgaben von 1634 erstmals an eine Heiligsprechung zu denken war, dargestellt. Vor allem geht es Ilg hierbei um die literarische und bildliche Konstruktion eines Märtyrers unter den Bedingungen von Späthumanismus, konfessionellem Zeitalter und Dreißigjährigem Krieg. Im Rahmen des bis in die Antike reichenden Märtyrerkonzepts wurde seine Verehrung zunächst vor allem von den habsburgischen Söldnern auf dem Bündner Kriegsschauplatz verbreitet. So sei seine Verehrung von Anbeginn an Bestandteil der „Pietas Austriaca“ geworden. Die Habsburger versuchten mit Hilfe seines Kultes ihre Rolle als Verteidiger des Glaubens zu legitimieren. Dies erkläre wiederum den Widerstand Roms gegen den Kult. In Rom herrschten Bedenken gegen einen politischen Martyrer, der vom frühabsolutistischen, die Kirche bedrängenden Staat instrumentalisiert wurde und die alleinige religiöse Deutungshoheit der Kirche in Frage stellte, zumal das politische Gleichgewicht in Italien in den Augen des Heiligen Stuhls von Habsburg bedroht wurde. Deshalb ist der Fideliskult laut Ilg Teil des frühneuzeitlichen Staatsbildungsprozesses bzw. ohne diesen nicht zu verstehen.

Die zweite Kultphase lässt Ilg dann schließlich mit der Beatifikation 1729 enden. Im Mittelpunkt dieses Teils steht die Frage, wie es gelingen konnte, den von Rom behinderten Kult am Leben zu erhalten und die Seligsprechung zu einem erfolgreichen Abschluss zu führen. Die Zurückdränung des französischen Einflusses in Rom ab 1695 sei dem ebenso zuträglich gewesen wie die Attraktivität des Märtyrergedankens in Kriegszeiten, wenn es um den Kampf um den Glauben und das Erdulden von Leid geht.

Ergänzt wird die Analyse durch einen umfangreichen Anhang. Dieser umfasst ein Verzeichnis von 443 Fideliswundern auf der Grundlage gedruckter und handschriftlicher Verzeichnisse und ein Verzeichnis von Taufen auf den Namen Fidelis zwischen 1676 und 1729 in Sigmaringen und verschiedenen vorderösterreichischen Orten als Zeiger für die Kultkonjunktur. Schließlich umfasst der Anhang zahlreiche Abbildungen bildlicher Zeugnisse des Fideliskultes. Hilfreich ist ein nach Personen und Orten differenziertes Register.

Durch die multiperspektivische Integration sozial-, militär-, kirchen-, politik-, namens-, kultur-, medien- und kunstgeschichtlicher Fragestellungen gelingt Ilg überzeugend die analytische Einbettung des Fideliskultes in frühneuzeitliche Konfessionalisierungs- und Staatsbildungsprozesse, wodurch er den engen Rahmen frömmigkeitsgeschichtlichen Interesses weit übersteigt.