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Christine Beier (Hg.)
Geschichte der Buchkultur 5/1: Gotik
Graz 2016, Akademische Druck- u. Verlagsanstalt, 322 Seiten mit 57 Abb. u. 24 FarbtafelnRezensiert von Bernhard Lübbers
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 23.03.2018
Kaum ein Begriff wird bis heute so sehr mit dem Mittelalter und all seinen vermeintlich negativen Eigenschaften assoziiert, wie der der Gotik. Im wissenschaftlichen Kontext wird der Terminus heute in erster Linie von visuell arbeitenden Wissenschaften, etwa der Kunstgeschichte, aber eben auch in der Buchkultur verwendet. Die Geschichte des Umgangs mit Büchern und Handschriften in den Jahrhunderten des ausgehenden Mittelalters steht im Mittelpunkt dieses Bandes.
Nach einer Einleitung durch die Herausgeberin, Christine Beier, widmen sich die ersten beiden Beiträge der materiellen Seite des Buches. Alois Haidinger (Beschreibstoffe, 17-38) gibt zunächst einen konzisen Überblick zu den klassischen Beschreibstoffen Pergament und Papier, bevor derselbe Autor sich der Einbandkunst der Jahrhunderte zwischen dem ausgehenden 13. und dem beginnenden 16. Jahrhundert zuwendet (Der gotische Bucheinband, 39-62). Daran anschließend nimmt Bettina Wagner die Geschichte der Bibliotheken in jener Zeit in den Blick. Vornehmlich anhand süddeutscher Beispiele zeigt Wagner auf, welches Ausmaß das Wachstum der Bibliotheksbestände im 15. Jahrhundert erreichte (Bibliotheken, 63-96). Mit der Erfindung des Buchdrucks in der Mitte des 15. Jahrhunderts setzte ein Wandel ein, den Hanno Wijsman dokumentiert (Handschriften und gedruckte Bücher: Der Wandel der europäischen Buchkultur im 15. Jahrhundert, 97-114). Zwar wurden im 15. Jahrhundert deutlich mehr Bücher gedruckt als handgeschrieben, die Drucker setzten jedoch weiterhin auf bewährte Inhalte; zumeist wurden in diesen Jahrzehnten religiöse Texte in lateinischer Sprache gedruckt. Erst mit Durchsetzung der Reformation sollte sich dies grundlegend ändern. Carmen Rob-Santer widmet ihren Beitrag daher auch dem religiösen Schrifttum des ausgehenden Mittelalters in seiner ganzen Vielfalt (Von Sündern und Erlösung. Zum religiösen Schrifttum am Übergang zur Neuzeit, 115-158). Zwar waren auch die Jahrhunderte am Übergang zur Neuzeit weiterhin überwiegend von lateinischen Schriften bestimmt, der Grad an volkssprachlichen Texten an der Gesamtproduktion wuchs jedoch unaufhörlich. Henrike Manuwald gibt einen konzentrierten und sehr lehrreichen Überblick über die volkssprachliche Buchkultur jener Zeit. Gerade Einsteigern ist dieses Kapitel ans Herz zu legen (Volkssprachige Handschriften des Hoch- und Spätmittelalters: ‚Höfische‘ Literatur, 159-186). Berühmt und vielzitiert ist der Ausspruch von den Zwergen, die auf den Schultern von Riesen stünden, der vermutlich auf Bernhard von Chartres zurückzuführen ist. Carmen Rob-Santer, die ihren Beitrag mit dieser Metapher einleitet, stellt die Bedeutung des antiken Erbes für die mittelalterliche Buch- und Wissenskultur heraus (Zwischen Transfer und Transformation: Der Umgang mit dem antiken Erbe, 187-234).
Vornehmlich der künstlerischen Ausgestaltung der Handschriften jener Zeit sind die folgenden Beiträge gewidmet. Christine Jakobi-Mirwald gibt einen konzisen Überblick über die klassischen Formen der Buchmalerei (Initiale, Randdekor, Miniatur: Die Ausstattungsorte in der gotischen Buchkunst, 235-252). Daran anschließend zeigt Michael Viktor Schwarz, mit wieviel Humor die Künstler jener Zeit oft gesegnet waren (Spiel, Witz und Augentrug: Figürlicher Randdekor, 253-276). Wissenschaftsdisziplinen wie die Astronomie oder die Astrologie waren in den mittelalterlichen Jahrhunderten in besonderer Art und Weise auf Bilder angewiesen. Dieter Blume analysiert das Zusammenspiel von Text und Illustrationen am Beispiel der gerade im Spätmittelalter sehr stark betriebenen Astrologie (Astrologie und die Wissenschaftsillustration vom 13. bis zum 15. Jahrhundert, 277-296). Den letzten Beitrag des durchweg sehr lesenswerten Bandes verfasste Susanne Rischpler. Sie zeigt, in welcher Weise die Gedächtniskunst auf den Buchschmuck rekurrierte (Ars memoriae illuminata. Buchschmuck im Dienst der spätmittelalterlichen Gedächtniskunst, 297-321).
Ein wichtiger Band, der jedem, der sich mit der spätmittelalterlichen Buchkultur beschäftigt, solide Orientierung bietet.