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Henner Niemann/Manuel Trummer (Hgg.)
C. Montanus: Eine Wallfahrt nach Walldürn
Mit einem Essay von Manuel Trummer, Illustrationen von Stefan Konrad u. Materialien, Obernburg am Main 2016, Logo Verlag Eric Erfurth, 288 Seiten mit Ill.Rezensiert von Wolfgang Brückner
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 13.03.2018
Dieses vorzüglich edierte und kenntnisreich kommentierte Buch ist im Original 1878 in Mainz im katholischen Verlag Franz Kirchheim erschienen und handelt von einer der regelmäßigen Prozessionen aus dem Bistum Mainz zum Heiligen Blut ins damals badische Walldürn im Odenwald und zwar der fußwandernden Pilgerreise aus Heppenheim (Bergstraße) des Jahres 1876.
Der Hauptherausgeber der Neuedition des stattlichen Werkchens Manuel Trummer ist Assistent am Institut für Information und Medien, Sprache und Kultur der Universität Regensburg, dort auf der Website im Untertitel „Vergleichende Kulturwissenschaft“ geheißen, also Mitarbeiter am Lehrstuhl unseres Kollegen Daniel Drascek. Er geht in seinem längeren Beitrag „Wallfahrt und populäre Publizistik im Kulturkampf“ Text und Autor genauer nach (197-235). Er versucht das Pseudonym des offensichtlich geistlichen Verfassers „C. Montanus“ zu entziffern, der seine Wanderungsbeschreibung mit Reflexionen über das unfreundliche Zeitgeschehen (Katholiken gegenüber) und die daraus resultierenden kirchenpolitischen Auseinandersetzungen jener Jahre angereichert hat. Trummer vermutet einen hessischen Parlamentarier aus dem sogenannten „Mainzer Kreis“ um das neu gegründete Mainzer Priesterseminar. Dessen Regens Christoph Moufang (1817-1890) hält er für den wahrscheinlichsten Verfasser (226). Dieser saß seit 1862 für die katholische Zentrumspartei in der großherzoglich Ersten Kammer in Darmstadt, ab 1871 im Berliner Reichstag. Er war zuvor mehrere Jahre um 1844/45 Pfarrverweser in Bensheim gewesen, der unmittelbaren Nachbarstadt Heppenheims. Dort wurde Moufangs Neffe Edmund Hardy, der spätere Religionswissenschaftler, Kaplan.
Trummer resümiert: „Montanus öffnet so eine wertvolle Innenansicht auf jene Epoche, die der Historiker Reinhart Kosellek als Sattelzeit der Moderne bezeichnet. Denn in der komplexen, kolportagehaften Darstellung der großen Welt in der kleinen Wallfahrtsprozession spiegeln sich die Transformationen der Zeit: Konflikt von Stadt und Land, bäuerlich-agrarische Vormoderne und die sozialen Implikationen der Industrialisierung reiht Montanus ebenso nebeneinander wie die Zukunftseuphorie der Weltausstellungen und die archaischen Bräuche und Mirakel des katholischen Wallfahrtswesens – oder eben wie das Ideal eines säkularen Nationalstaates und einer souveränen transzendenten Kirche.“ (233)
Wohl wahr! Aber was soll dann der übermäßige Gebrauch des bis auf den heutigen Tag schimpflich gemeinten Begriffs Ultramontanismus, den die Darmstädter Regierung wie selbstverständlich im Munde führte. Der Autor Montanus sieht sich schon kraft seines Namens nicht hinter, sondern auf dem Gebirge. Natürlich hat Trummer recht, wenn er weiter formuliert, dass uns hier der „ungelöste Konflikt von Tradition und unaufhaltsamem Wandel“ entgegentritt. Dies allerdings als Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen zu bezeichnen, markiert mit dem Gebrauch jener stilkritischen Beobachtungshypothese innerhalb ästhetischer Formationen ein parteiisches Bekenntnis, das dem Historiker als erkennendes Fazit nicht zusteht. Damit geriete man nämlich mit ganz anderen Vorzeichen schnell in die Nähe ebenfalls aktueller Walldürn-Literatur wie z. B. Anne Grießers Roman „Das Heilige Blut“ von 2014, für den seine Autorin mit einem „Historisch-kriminellen Spaziergang“ samt Lesungen in historischer Kleidung vor Ort wirbt.