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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Franziska Sperling

Biogas – Macht – Land. Ein politisch induzierter Transformationsprozess und seine Effekte

Göttingen 2017, V&R unipress, 352 Seiten
Rezensiert von Jan Lange
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 07.03.2018

Die von Franziska Sperling vorgelegte Monographie beschäftigt sich am Beispiel der Energieerzeugung mit Biogas in der Region zwischen Fränkischer und Schwäbischer Alb mit den lokalen Auswirkungen der Förderprogramme und -instrumente, die unter dem Schlagwort der „Energiewende“ auf die Umstellung von kohlenstoffbasierter auf regenerative Energieversorgung zielen. Die Arbeit leistet einen wichtigen Beitrag zur Anthropologie politischer Felder, da sie Konstruktionsbemühungen über mehrere politische Maßstabsebenen sichtbar und die bislang überraschend selten zur Anwendung gekommene Methode des studying through produktiv macht. Die hierbei transparent werdenden Zusammenspiele aus Energie, Institutionen, Infrastrukturen und Akteuren definiert Sperling unter Anlehnung an die gegenwärtig erstarkende Anthropology of Energy als „Energo-Formationen“ (13). Mit dieser Fokussierung greift sie den in jüngerer Zeit an die Anthropologie ergangenen Appell auf, das Thema der Energie stärker zum Forschungsfeld zu machen.

In der theoretischen Annäherung an den Forschungsgegenstand setzt sich Sperling insbesondere mit der Anthropology of Energy auseinander, „die kulturelle Vorstellungen von Energie erforscht, also wie sie gedacht, entwickelt und im Alltag genutzt wird“ (53). Der Mehrwert so informierter Ethnographien für das Feld der Energieforschung liegt vor allem in der Transzendierung der ökonomisch-rationalistischen Perspektive und der Sichtbarmachung der komplexen Aushandlungsprozesse in menschlichen Bezugssystemen zu Energieproduktion und -konsum. Sperling spricht hierbei von der grundlegenden „messiness der Energiewende“ (64) und weist damit darauf hin, dass im Zuge der Neujustierungen der Energiepolitik sowohl intendierte als auch nicht intendierte soziale Prozesse in Gang gebracht wurden. Diese versteht sie weniger als störende Begleiterscheinung, denn als analytische Fenster der Anthropologie, in denen Praxismuster (post-)industrieller Gesellschaften aufscheinen. Diese werden wiederum als Energopractices bezeichnet. Sperling versteht sie als aus der Energopower – dem übergeordneten soziokulturellen Kontext der Energiewende – und den Energopolitics – entsprechende politische Programme und Steuerungsinstrumente – resultierende Effekte auf der Mikroebene (69). Bei der konkreten Analyse der Energopractices stützt sich Sperling auf einen Datenkorpus aus Beobachtungen, Mental Maps und über vierzig Interviews.

Die empirischen Befunde werden anhand von vier Schwerpunkten dargestellt. Der erste thematisiert die Energieproduktion von der zur Anwendung kommenden Technik über die ein- und freigesetzten Stoffe bis hin zu Bauauflagen und -genehmigungen entsprechender Anlagen. Mit dem zweiten Schwerpunkt rückt der Wandel des klassischen Tätigkeitsfeldes der Landwirte ins Zentrum. Durch die expandierende Branche entwickelt sich ein „Modernes Unternehmertum in konservativ geprägter Region“ (187). Sperling interpretiert die entsprechenden Personen vor dem Hintergrund der klassischen Landwirtschaft als Akteure, welche die veränderten Opportunitätsstrukturen erkannt und innovativ für sich genutzt haben. Die Kehrseite dieser Transformation der Landwirtschaft wird im Rahmen des dritten Schwerpunktes dargestellt. So sieht sich ein Teil der Bevölkerung durch die Biogasanlagen in seiner Lebensqualität eingeschränkt und schließt sich in Teilen zu Bürgerinitiativen zusammen. Neben diesem, kulturwissenschaftlich in der Vergangenheit oft erforschten, Konflikt zwischen unterschiedlichen Vorstellungen von (Kultur-)Landschaft, wird Biogas jedoch auch vom Umwelt- und Naturschutz problematisiert, da durch den Wandel der Wirtschaftsformen auch die Artenvielfalt dezimiert wird. Im vierten Schwerpunkt wird jedoch deutlich gemacht, dass die Akzeptanz für die Biogastechnologie auf dem Land durchaus entwickelt werden kann. Vorgeführt wird dies am Beispiel einer kleinen bayrischen Gemeinde, die sich mit Hilfe der Biogastechnologie selbst mit Wärme und Strom versorgt.

Die vorliegende Arbeit von Franziska Sperling eröffnet einen differenzierten, theoretisch und methodologisch fundierten und zumeist kurzweilig zu lesenden Einblick in die Effekte der sich wandelnden Energiepolitik. Eine zentrale Stärke des Buches ist, dass die lokale Ebene der Energiewirtschaft mit der regionalen, nationalen und europäischen Dimension in Verbindung gesetzt wird. Die herausgestellten Energopractices werden so als Arrangements einer Vielzahl an Akteuren und Aktanten greifbar. Sperling zeigt, wie sich rund um die Biogastechnologie und die konkreten Produktionsanlagen ganz unterschiedliche Praktiken in stark differenzierten sozialen Feldern situieren. Dem Aufruf zur Fundierung einer Anthropology of Energy ist damit im Vielnamenfach erstmals auf beeindruckende Weise Folge geleistet worden. Für in Zukunft erscheinende Analysen in diesem Forschungsfeld wird das Buch sicherlich ein prominenter Bezugspunkt sein.