Aktuelle Rezensionen
Gregor J. Betz
Vergnügter Protest. Erkundungen hybridisierter Formen kollektiven Ungehorsams
Wiesbaden 2016, Springer VS, 299 Seiten mit 35 Bildtafeln, 5 AbbildungenRezensiert von Katharina Winkler
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 08.03.2018
Emotionen spielen eine wichtige Rolle für soziales Handeln und Interaktionen in Gruppen. Soziale Bewegungen, Protest und Demonstrationen bilden dabei keine Ausnahme. So liegt es nahe, dass sich der forschende Blick einer zunehmenden Anzahl an Studien auf die emotionalen Dimensionen des Handelns, Erlebens und Interagierens im Protestgeschehen richtet. Seit circa 25 Jahren finden Emotionen eine immer breitere Beachtung innerhalb der Bewegungsforschung. Hier, so schickt der Autor Gregor J. Betz seiner Untersuchung voraus, bisher jedoch mit einem deutlichen Fokus auf „negative“ Emotionen wie Wut, Ärger oder Schuld (9) oder mit einer verkürzten Betonung der rein instrumentellen, etwa mobilisierenden, Wirkung von Spaß, Freude, Vergnügen oder Humor (4).
Betz will mit seiner Studie über den „Vergnügten Protest“ einen Beitrag leisten, das mögliche Wirkungsspektrum von (positiven) Emotionen für Protestereignisse aufzufächern und weitere Bedeutungsebenen von Vergnügen und Spaß, etwa für das individuelle oder gruppenbezogene Erleben von Protesten, stärker in den Mittelpunkt zu stellen. Die Arbeit versteht sich als eine ethnographische und wissenssoziologische Untersuchung von „hybridisierten Protestereignissen“. Dem Autor geht es grundsätzlich um eine Auseinandersetzung mit außeralltäglichen Ereignissen im Spektrum zwischen politischem Protest und erlebnisorientierten Vergnügungsveranstaltungen und -events (271). Somit ist das Ziel der Arbeit ein doppeltes: Zum einen trägt die Studie zur Auseinandersetzung mit einem in der Emotionsforschung sozialer Bewegungen (noch) unterrepräsentierten Thema bei, nämlich den breiteren Wirkungen von Freude, Vergnügen und Spaß innerhalb von Protest. Zum anderen geht es dem Autor darum, einen empirisch gesättigten theoretischen Beitrag zu „hybridisierten Ereignissen“ zu leisten, also zu „Phänomenen des Dazwischen, des Sowohl-Als-Auch und des Weder-Noch“ (271).
Betz leitet seine Arbeit mit der Darstellung einer Typologie des hybridisierten Protests ein – dabei unterscheidet er schematisch zwischen „eventisiertem Protest“, „Protesthybrid“ und dem „politisierten Event“ (16). Seine nachfolgend untersuchten Fallbeispiele reihen sich in diese Dreiteilung ein und illustrieren die verschiedenen Protesttypen. Für den ersten Typus des „eventisierten Protests“ blickt die Studie auf „gewerkschaftliche Protestereignisse“, konkretisiert an den Beispielen der vom Deutschen Gewerkschaftsbund organisierten Dortmunder „Maikundgebung im Westfalenpark“ im Jahr 2014 sowie der Demonstration der bundesweiten Kampagne „UmFAIRteilen – Reichtum besteuern“ 2013 in Bochum. Hier geht es um Protestveranstaltungen von institutionalisierten sozialen Bewegungen mit langjährigen Protesttraditionen sowie tradierten Protestformen und -anlässen, die durch Spaß- und Vergnügungselemente angereichert werden (15). Als Beispiel für den zweiten Idealtypus des „politisierten Events“ untersuchte der Autor die von der Duisburger Kampagne „DU It Yourself“ organisierte Nachttanzdemo. Bei diesem Typus kommen Akteursgruppen ins Spiel, die relativ unverbindlich miteinander verbunden sind und eher kurz- oder mittelfristige Ziele verfolgen. Adaptionen von vertrauten und üblichen Fest- und Feierformen – und damit Ereignisse, die eher auf ein kurzfristiges Vergnügen angelegt sind – werden hier mit Protestinhalten und -handlungsformen angereichert (16). Als drittem Idealtypus widmet sich die Studie dem „Protesthybrid“, innerhalb dessen Protest und Vergnügen genuin miteinander verbunden sind. Betz wählte hierfür das Fallbeispiel der „Schnippeldisco“, welche er 2013 in Bochum und 2014 in Berlin in den Blick nahm (17).
Die qualitativ angelegte Studie bringt unterschiedliches empirisches Datenmaterial zusammen. Unter anderem werden Artefakte aus dem Feld wie Flyer, Plakate, schriftliche Selbstdarstellung etc. dicht beschrieben und interpretiert. Des Weiteren stützt sich der Autor in seiner Analyse auf Feldbeobachtungen sowie Interviews mit Protestteilnehmern, die meist unmittelbar im Feldgeschehen geführt wurden. Eine Stärke der Arbeit ist die Transparenz, mit welcher Betz den Lesenden sein Datenmaterial präsentiert und seinen Analysevorgang nachvollziehbar macht. Auch die Bandbreite des empirischen Materials und der besuchten Veranstaltungen bietet ein facettenreiches Bild davon, auf welch unterschiedliche Art und Weise politischer Protest und erlebnisorientierte Events durch die Akteure zusammengebracht, verwoben und ausgestaltet werden. Die einleitend vorgenommene Typisierung hilft dabei, den Blick für das nuancierte Neben- und Miteinander sowie für Verschränkungen von „klassischen“ politischen Protestelementen und spaß- und vergnügungsorientierten Eventelementen bei den einzelnen Veranstaltungen zu schärfen. Leider verliert sich die Arbeit zum Teil in der Fülle des Datenmaterials - nicht zuletzt, weil Betz die als Fallbeispiele herangezogenen Protestveranstaltungen nur punktuell besuchen konnte. Eine intensivere und längere Auseinandersetzung mit den einzelnen Veranstaltungen und ihren Akteuren kommt dabei zu kurz. Die Studie verbleibt so oft deskriptiv und die Ergebnisse wirken schematisch. Auch wäre eine stärkere theoretische Verortung der Arbeit in die laufende Forschung zu Emotionen und Vergnügen interessant gewesen. Zwar bietet der Autor einen einleitenden Abriss über den aktuellen Forschungsstand an, doch bleibt es bis zuletzt unklar, wie „Spaß“, „Vergnügen“ und „positive Emotionen“ konzeptuell gefasst und in Beziehung zueinander gesetzt werden können. Die verschiedenen Typisierungen und die umfangreichen Beschreibungen des empirischen Materials im „Vergnügten Protest“ geben dennoch gute Einblicke in das Konzept hybridisierter Protestformen, regen zum Weiterdenken an und bieten nicht zuletzt ein Sprungbrett für eine weiterführende Beschäftigung mit der Wirkung unterschiedlicher Emotionen in sozialen Bewegungen und Protesten.